Im Fernsehen ist Krieg. Flugzeuge schießen auf Häuser. Menschen sind nicht zu sehen. Über den Krieg wird in den Nachrichten berichtet. Es ist kein Krimi, keine Schnulze mit patenten Lösungen am Ende der Sendung. Dazwischen sehe ich grellbunte Reklame. Das wohlschmeckende Bier, das mich jugendlich und glücklich macht, der weltbeste Kaffee. Das unvergleichliche Aroma und die fröhlichen Gesichter kämpfen mit den gesichtslosen zerbombten Städten um die beste Sendezeit. Reklame und Nachrichten. Mensch gegen Mensch. Auch Deutsche, so wird berichtet, sind in diesem Krieg. Ihr Einsatz wird verteidigt. Das Fernsehgerät steht im Wohnzimmer. Der Krieg darin scheint fern zu sein.
Mensch und Krieg. Der alte Mann und sein Kaiser tauchen wieder aus der Erinnerung auf.
Vor Jahren machten mein Freund und ich eine Tour mit dem Motorrad. Wir waren sehr jung, freuten uns über die Kurven des Donautals und fühlten uns frei. Wenn uns andere Motorradfahrer begegneten, und das geschah oft, grüßten wir. Es war ein schöner Sonntag im Frühling.
In einem Dorfgasthof wollten wir am frühen Abend eine Rast einlegen. Der Schankraum war fast leer, nur am Stammtisch saßen mehrere Männer. Sie redeten, wie mir schien, wild durcheinander. Als wir eintraten, luden sie uns zu sich ein. Ich setzte mich neben einen alten Mann, der mich gleich darauf von oben bis unten musterte. Die Taxierung fiel wohl zu seiner Zufriedenheit aus, denn er lachte mich mit jeder Falte seines Gesichtes an: „Bist du verheiratet?“ „Noch nicht“, sagte ich zögernd. Was er wohl wollte? „Dann lade ich dich heute ein.“ Ich suchte mit den Augen meinen Freund, der drei Stühle weiter einen Platz gefunden hatte. Aber er war schon zu sehr ins Gespräch mit ein paar jungen Männern vertieft.
Einer dieser Männer rief kurz darauf aus dem Stimmengewirr dem alten Mann zu: „He, Wilhelm, sag‘ uns doch noch mal das Gedicht vom Kaiser auf, ich zahl‘ dir auch ein Bier.“ Der Mann, der mir gegenüber saß, meinte dazu: „Dabei trinkt er überhaupt nicht viel, am Abend höchstens eine halbe Flasche Bier.“
Mit erhobener Stimme fing der alte Mann neben mir an: „Der Kaiser ist ein guter Mann, er wohnet zu Berlin, und wär‘ es nicht so weit von hier, so führ‘ ich heut‘ noch hin ...“
Obwohl die Männer das Gedicht offensichtlich kannten, hatten sie ihren Spaß daran. Ich war erstaunt, dass der Mann das Gedicht aus Kindertagen, aus der Kaiserzeit, noch auswendig aufsagen konnte.
Plötzlich zupfte er mich an meiner Jacke und sagte mit belegter Stimme: „Weißt du, im ersten Krieg, da habe ich einen erschossen, einen Franzosen, am Hartmannsweilerkopf, im Elsass. Er war so jung wie ich und hatte braune Augen. Jeden Abend sehe ich ihn; wenn ich Bier trinke, ist es schlimmer. Ich habe schneller geschossen, und dann war er tot."
In den starren Augen des alten Mannes spiegelten sich die Augen des anderen.
“He, Wilhelm“, kam es vom anderen Ende des Tisches „nicht Trübsal blasen, sag‘ lieber noch mal das Gedicht auf.“ Mein Nachbar nahm die Schultern zurück, hob sein Glas und fing an: „Der Kaiser ist ein guter Mann, er wohnet zu Berlin ...“